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Im Alltag sind wir ständig gefordert, unsere Gefühle zu regulieren, unsere Gedanken zu steuern und unser Handeln zu kontrollieren. So müssen wir in der Lage sein, eigene Ängste oder Aggressionen zu beherrschen, Probleme gründlich zu durchdenken, unsere Bedürfnisse aufzuschieben oder uns zu motivieren, unleidige Aufgaben anzugehen. Unsere Kinder stellt dies häufig vor grosse Herausforderungen. Ihre Fähigkeit zur Selbstregulation befindet sich noch in der Entwicklung und es gibt immer wieder Situationen, die sie an ihre Grenzen bringen.
Stellen Sie sich vor, Ihr Kind schreibt morgen eine Mathearbeit. Sie kommen in sein Zimmer und finden es weinend am Schreibtisch sitzen. Jetzt sind Sie gefragt! Im ersten Schritt mag es Ihrem Kind helfen, dass Sie seine Gefühle spiegeln und benennen: „Ich sehe, du weinst. Hast du Angst vor der Mathearbeit morgen? Du befürchtest, die Aufgaben nicht zu verstehen? Komm, wir schauen sie uns einmal gemeinsam an.“ Diese Form der emotionalen Unterstützung stellt eine Form der Ko-Regulation dar und wirkt sich positiv auf die Entwicklung der Selbstregulation Ihres Kindes aus.
Unter Selbstregulation wird die Fähigkeit verstanden, die eigenen Gefühle, das eigene Denken und Handeln bewusst zu steuern und zu kontrollieren. Sie hat ihre Ursprünge in der frühen Kindheit, entwickelt sich jedoch bis in das Jugendalter und junge Erwachsenenalter hinein weiter. Ausschlaggebend für diese Entwicklung sind biologische Reifungsprozesse im Gehirn, aber auch dem elterlichen Unterstützungsverhalten, der sogenannten Ko-Regulation, wird eine zentrale Rolle beigemessen.
Bildlich kann man sich die Entwicklung der Selbstregulation als einen Baum vorstellen: seine Wurzeln stellen im Kind angelegte und wenig beeinflussbare Faktoren dar, wie das Temperament oder die Frühgeburt eines Kindes. Diese Wurzeln sind fest im Boden verankert, d.h. in dem sozialen und kulturellen Umfeld, in dem das Kind aufwächst. Der Stamm bildet grundlegende (und überwiegend unbewusste) Regulationsprozesse ab, wie beispielsweise die Steuerung von Körperfunktionen (z.B. Körpertemperatur, Atmung, Ausscheidungen), die sich bereits in den ersten Lebensjahren zeigen. Mit der Zeit, bildet der Baum sich immer weiter aus – seine Äste stellen dann die Selbstregulation, d. h. die bewusste und willentliche Steuerung der Gefühle, der Gedanken und des Verhaltens dar.
Ein Baum wächst jedoch nicht von alleine: er benötigt eine Menge Sonnenlicht und muss natürlich gegossen werden. Bildlich steht die Sonne für die elterliche Liebe, ihre Wärme und ihre Feinfühligkeit gegenüber ihrem Kind. Die Giesskanne bzw. das Wasser stellt die elterliche Unterstützung bei herausfordernden Aufgaben und Problemen dar und dient dazu, Gedanken und Verhalten des Kindes zu lenken. Und abschliessend können Sie sich noch eine Wolke vorstellen, die den elterlichen Stress repräsentiert und dazu führen kann, dass die Sonne (teilweise) überdeckt wird und nicht so hell scheint. Das Zusammenspiel dieser verschiedenen Faktoren (Wie stark sind seine Wurzeln? Wie nährstoffreich ist der Boden? Wie hell scheint die Sonne? Wie viel Wasser bekommt der Baum?) beeinflusst wiederum, wie viele Früchte der Baum trägt, d. h. den schulischen und beruflichen Erfolg des Kindes, aber auch seine sozialen Kompetenzen, seine Empathie und seine Konfliktfähigkeit.
Gehen wir zurück zu unserem Beispiel: Sie finden Ihr Kind in Tränen aufgelöst vor seinen Mathe-Aufgaben am Schreibtisch sitzend vor. Es ist offensichtlich, dass Ihr Kind in diesem Zustand keinen klaren Gedanken fassen, geschweige denn lernen und neue Informationen aufnehmen und verarbeiten kann. Zunächst muss es also seine Gefühle, d.h. seine Angst oder Frustration, regulieren. Sie als Eltern können ihm dabei helfen, indem Sie seine Gefühle spiegeln und benennen: „Ich sehe, du weinst. Hast du Angst vor der Mathearbeit morgen? Du befürchtest, die Aufgaben nicht zu verstehen? Komm, wir schauen sie uns einmal gemeinsam an.“. Diese Form der emotionalen Unterstützung bewirkt, dass Ihr Kind sich wahrgenommen und verstanden fühlt. Es wird ihm dadurch leichter fallen, seine Gefühle in den Griff zu bekommen.
Wenn Ihr Kind emotional wieder gefasst ist, können Sie es bei der Bearbeitung der Mathe-Aufgaben unterstützen und auch hier wieder Selbstregulationsprozesse anstossen, indem Sie beispielsweise durch Fragen, Hinweise, Anleitungen und Rückmeldungen Ihr Kind Schritt für Schritt durch die Aufgabe führen. Wichtig hierbei ist, dass Sie Ihre Unterstützung dabei immer an Ihr Kind anpassen und genau beobachten, wie Ihr Kind auf Ihre Unterstützung reagiert: kann Ihr Kind Ihre Frage beantworten oder Ihre Anleitung umsetzen, reduzieren Sie im nächsten Schritt Ihre Unterstützung (z. B. allgemeinere Hinweise und Anleitungen), um Ihrem Kind die Möglichkeit zu geben, selbst Verantwortung zu übernehmen und Lernerfolge zu erzielen. Merken Sie, dass Ihr Kind nicht weiterkommt, erhöhen Sie die Unterstützung wieder, d.h. Ihre Anleitung kann kleinschrittiger werden oder Ihr Hinweis noch spezifischer. Auf diese Art unterstützen Sie Ihr Kind dabei, in der Zone der nächsten Entwicklung zu lernen: d.h. der Bereich, in dem das Kind eine Aufgabe noch nicht eigenständig, aber mit Ihrer Unterstützung lösen kann. Vermeiden Sie es, Aufgaben oder Probleme selbstständig für Ihr Kind zu lösen – wenn Ihr Kind Sie nur passiv beobachtet, kann es selbst keine Lernerfahrungen und -fortschritte machen. Versuchen Sie, sich selbst etwas zurückzunehmen und dem Kind den Raum fürs Lernen zu ermöglichen. Denken Sie dabei an das Bild des Baumes: wenn ein Baum zu stark eingezäunt ist, hindert es ihn daran zu wachsen und sich in seiner Gänze zu entfalten. Dabei gehört es dazu, dass Ihr Kind auch Fehler macht und Rückschläge erfährt. Wenn Sie dann mit Ihrem Kind über die Rückschläge sprechen, fokussieren Sie weniger auf die Leistung, sondern betonen Sie, dass solche Erfahrungen dazu gehören und man aus Fehlern und Misserfolgen lernen kann. Denn: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.
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